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4.Prozess


Die Adlergeschichte

ein Wochenende und ein Malabend

Bild 1:
Samstag: Ich gehe mit Neugierde und Vorfreude zum Ausdrucksmal-Seminar. Ich habe noch nie auf großen Blättern an der Wand gemalt und bin gespannt, was mich erwartet, wie ich mich erleben werde, was sich mir vielleicht eröffnen wird an neuen, überraschenden Erfahrungen und Erkenntnissen.
Meine vertraute Angst ist auch mit dabei: Werde ich überhaupt etwas in mir finden, fühlen, erleben? Was, wenn da nur Leere ist, das große Nichts?
Ich habe in der ersten Zeit meines Lebens gelernt, dass es besser ist, mich und meine Gefühle und spontanen Impulse zu unterdrücken, besser noch gar nicht zu spüren. Statt dessen habe ich „trainiert" herauszufinden, was andere von mir erwarten, wie ich sein soll, was richtig ist. Ich habe Riesenantennen dafür entwickelt, was von mir erwartet werden könnte.
Inzwischen will ich nicht mehr die Erwartungen anderer erfüllen, doch es ist fast wie ein Reflex. Ich will mich spüren, mein Gefühle, meine Impulse - doch oft spüre ich noch nichts, nur Leere, fühle mich wie betäubt.
Aber es gibt auch die Momente, wo ich mich und meine eigenen Impulse gespürt habe und kreativ ausdrücken konnte. So bin ich zwischen Hoffnung und Angst: Angst vor der Leere in mir und der Hoffnung, mich zu ent-decken.

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Wir sind im Malraum. Erika erklärt die möglichen Umgangsweisen mit den Farben, Pinseln, etc.
Ich fühle mich sofort angeregt von der Möglichkeit, mit den Händen zu malen, mit Kleister und Farbe, sinnlich. Die „kleine Sabine" in mir ist angesprochen, hat Lust zu tun, was sie nie tun durfte.
Mein Blatt hängt an der Wand; ich kleistere es ein, merke dabei schon, dass es mir viel zu klein ist - obwohl ich noch nie ein so großes Blatt bemalt habe. Dann nehme ich gelb, meine Lieblingsfarbe und lasse meine Hände in Wellen bewegen und übers Papier gleiten. Ich liebe Wellen. Gerade habe ich mir erst gestern ein großes Ozeanwellenbild aufgehängt und liebe die Kraft darin.
Mein Blatt ist zu klein, ich möchte die ganze Wand vollmalen mit dieser riesigen kraftvollen Welle. Ich akzeptiere die Begrenzung des Blattes widerwillig, nehme noch Rot dazu als Farbe. Eine Feuerspirale entsteht, die mir gut gefällt. So würde ich mir das Bild gerne ins Zimmer hängen, es würde mir guttun. Am liebsten möchte ich es so lassen.


Bild 2:
Ich spreche mit Erika darüber und über meinen Wunsch, noch viel mehr Platz zum Malen zu haben."In welche Richtung möchte das Bild denn weitergehen?" - In alle! Also baue ich ringsum Papier an. Wow, soviel Platz. Darf ich das wirklich? - Darf ich soviel Rum einnehmen? Ist das nicht unverschämt?
Ich und mein Raum - auch ein Thema, das mir in diesem Jahr so deutlich vor Augen gerückt ist. Nämlich in der Erkenntnis, dass ich es fast nicht schaffe, Raum für mich zu beanspruchen. Bin viel zu schnell bereit, immer anderen den Raum zu geben. Wovon ich natürlich den Vorteil habe, mich und meine Leere nicht spüren zu müssen. Oder den Stress, den ich bekomme, wenn ich Raum habe: Jetzt muss ich etwas leisten, muss ihn ja „gut" ausfüllen.

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Bild 3:
Nun stehe ich vor diesem vielen Raum in Form von Malfläche - und er kommt mir immer noch viel zu klein vor. Und ich fühle mich unverschämt grenzenlos, unersättlich. Ich fange wieder an zu malen und aus der Spirale heraus wächst etwas wie Blütenblätter, etwas fließt da heraus. Immer noch gelb. Ich nehme grün dazu. Plötzlich entsteht der Impuls, zwei Hände zu malen, die dieses Spiralen-Pflanzen-Gebilde wie eine Schale halten. Das ist der erste Impuls, etwas Gegenständliches zu malen, aus der Vorstellung heraus. Vorher hatte ich mich einfach von der Bewegung meiner Hände auf dem Papier leiten lassen. Mein Motiv gefällt mir, diese Pflanze/Blüte geborgen in den Händen. - Dann ist Pause.

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Bild 4:
Als ich nach der Pause wieder auf mein Bild schaue, mit Abstand, sehe ich darin plötzlich eine fliegende Taube, nur der Kopf fehlt noch. Ich wage es kaum, Erika zu fragen, ob ich noch ein Blatt dafür anbauen kann. Im Grunde erwarte ich, begrenzt zu werden - statt dessen werde ich unterstützt. Ich habe vor, den Kopf der fliegenden Taube zu malen und dann das ganze Bild um 90° zu drehen, dass die Taube ungefähr waagrecht fliegt.
Beim Malen entsteht statt eines Taubenkopfes ein Adlerkopf, ein ziemlich feuriger. Der Adler hängt senkrecht nach unten. Ich muss an die Tarotkarte „Der Gehängte" denken. Ich glaube, sie steht für Transformation, für's Loslassen der Kopfkontrolle, für irgend etwas, das Sterben will, damit etwas Neues entstehen kann. Ich kenne mich nicht gut damit aus.

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Bild 5:
Mein Adler soll jedenfalls richtig herum hängen, soll aufrecht sein, mit dem Kopf nach oben. Mit Erikas Hilfe wende ich die vielen Blätter und hänge das Bild neu auf - immer noch und immer wieder erstaunt darüber, dass es ihr nicht zuviel wird, sich auf meine ständig neuen und aufwendigen Ideen einzulassen.
Da hängt er nun - ein kraftvoller, feuriger, stolzer Adler mit wachsem Blick - und ich bin selbst erstaunt, dass so etwas bei mir entstanden ist.
Der Tag ist zu Ende. Ich fühle mich kraftvoll und gut und bin gespannt auf die Begegnung mit meinem Adler am nächsten Tag.

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Bild 6:
Sonntag: Ich kann es kaum erwarten, meinen Adler wiederzusehen, freue mich auf ihn; er gefällt mir! Heute geht es um seinen Unterleib. - Also muss ich wieder Blätter anbauen, die Wand reicht nicht aus; ich muss den Boden noch als Malfläche mit einbeziehen. Das Bild ist wohl fast 4 m hoch.

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Bild 7:
Wie sieht der Adler unten aus? Sitzt er auf einem Nest, wie ich erst denke? Nein, er steht mit beiden Füßen fest auf dem Boden. Es ist mir wichtig, ihm kräftige Füße zu malen. Die Konturen der Schwanzfedern und der Füße entstehen schnell, jetzt muss ich sie noch ausfüllen und auch das Drumherum.

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Bild 8:
Es ist richtig Arbeit, soviel weißes Papier zu füllen. Es ist mehr ein Muss-Tun", ich erlebe dabei innerlich wenig. Die Zeit vergeht so schnell, obwohl wir schon eine Stunde mit Einverständnis von Erika verlängert haben. Ich beeile mich einfach, das Blatt zu füllen. Große Krallen sind mir noch wichtig. Ich möchte auch gerne ab und zu mal „die Krallen zeigen" können, nicht immer lieb sein. Plötzlich werde ich traurig, weiß nicht warum. Der Adler mit der Feuerspirale im Herzen, aus der „es" (was?) heraus strömt, wirkt ungeschützt und verletzlich in seiner Mitte. Ich will es nicht verändern, die Spirale, mein Anfangsbild, soll so bleiben, sie ist mir wichtig. Irgendwie ist sie auch das Kraftzentrum des Adlers. Ich gehe mit dieser Traurigkeit nach Hause, bin erschöpft, fühle mich dumpf - auch noch die nächsten zwei Tage. - Der Adler ist mir zu groß, überfordert mich, ist zu feurig, zu strahlend - ich will zurück in mein Mäuseloch, mich ausruhen, klein sein können.
Habe ich wieder nur die Seite von mir gemalt, gezeigt, die ich gerne zeigen möchte: die Starke, Strahlende? Und wohin mit meinem Kleinsein, meiner Bedürftigkeit, meiner Zartheit und Verletzlichkeit?

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Bild 9:
Das Wochenende war zu kurz, wir hängen am Dienstag einen Malabend dran.
Als der Abend näher rückt, spüre ich, dass ich gar nicht mehr in möchte zum Malen. Ich will mit meinem Adler nichts mehr zu tun haben, er überfordert mich. Ich bin froh, dass Erika mir „erlaubt" ein anderes Bild zu malen. Schon den Adler anzuschauen, ist mir zu unruhig, bewegt, sich in alle Richtungen verstrahlend.
Ich möchte mich ausruhen, mich zentrieren, wieder ganz bei mir ankommen. Male ein sanftes Bild mit Blau- und Grüntönen und einer geldgrünen Sonnenmitte, das mir gut tut. - Wasserpflanzen mit Blüten, Wasser, Ruhe - ich assoziiere einen Kanutag im Taubergießen. Wasser ist für mich Heilung. Das Bild ist fertig, ich möchte ein Neues anfangen - da führt Erika mich nochmal zum Adler, fragt mich, wo er ist, was er um sich herum hat, was er noch braucht, um sich gut zu fühlen.

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Bild 9:
Er ist hoch oben auf einem Berg und hat ganz viel Weite und blauen Himmel um sich herum.
Ob ich ihn denn nicht malen will? Doch, ja, ich probier's.
Also wieder eine Großaktion mit Blätter ankleben. Inzwischen ist's ein Riesenbild - und ich spüre wieder, dass der Adler noch viel mehr Raum um sich herum bräuchte, viel mehr...!

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Bild 10:
Wieder staune ich über Erikas Geduld und ihre Bereitschaft, meine Expansion zu unterstützen. Ich gebe dem Adler seinen blauen Himmel. Es ist wohltuend, gibt dem Bild mehr Ruhe und Weite. Darin der stolze, feurige, kraftvolle Adler.

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Bild 11:

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Was hat er mit mir zu tun? Auch ich bin gerne hoch oben, finde mich in Phantasiereisen immer auf Bergen wieder, mit unendlich weiter Aussicht. Adlerperspektive. Dass er ein Raubvogel ist, behagt mir nicht, aber seine majestätische Kraft gefällt mir sehr. Er ist unangreifbar, stark und frei, hellwach und schön.

Mir fällt die Geschichte ein vom Adler im Hühnerhof. Der Adler wächst bei den Hühnern auf und pickt Körner vom Boden, er hat vergessen, wer er ist. Erst als ein Mann ihn zum Sonnenaufgang mit nimmt auf einen Berg, geht ein Zittern durch seinen Körper, er stößt einen Schrei aus - und fligt in die Freiheit.

Diese Geschichte hat mich sehr berührt. Ich fühle mich auch wie eine Adlerin, die noch als Huhn lebt, weil sie unter Hühnern groß geworden ist. Wie kann ich mich an mein Adler-sein erinnern? Wahrscheinlich muss ich auch bei Sonnenaufgang auf einen Berg steigen... .

Wieso ich einen Riesenadler gemalt habe, bleibt noch zu ergründen. Ganz wichtig war mir die Erfahrung, dass ich Raum brauche, viel Raum, und ihn sogar nehmen darf bzw. bekomme. Ich habe noch nie soviel Raum genommen. - Und zwischendrin immer mal wieder die anderen um ihre kleinen Bilder beneidet. Sicher würde ich mir nicht so schnell wieder ein so großes Bild vornehmen. Groß zu sein ist auch anstrengend.
Schade, dass ich mir den Adler nicht ins Zimmer hängen kann.


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